Video: Joylyn Chai
„Ich sehe Graz oft als Anfangspunkt meines Lebens,“ erzählt Joylyn Chai, die 1996 von Toronto nach Graz kam, um dort an der Graz International Bilingual School Kunst zu unterrichten.
Künstlerin, Lehrerin und Uhrturmverehrerin
Wohnort: Toronto, Kanada
„Kurz bevor ich nach Graz ging war meine Mutter gestorben. Das war für mich unglaublich traumatisch. Graz hat mein Leben verändert, weil diese Isolation – niemanden zu kennen und die Sprache nicht zu sprechen – hat mich irgendwie aus meiner Trauer gerissen. Ich konnte mich nicht mehr länger mit dem Verlust meiner Mutter beschäftigen, wenn ich in dieser fremden, europäischen Stadt überleben wollte“, erzählt sie.
„In gewisser Weise, habe ich das Gefühl, dass meine ‚erwachsene Identität’ in Graz begonnen hat. Und außerdem habe ich mich dort verliebt! Ich habe die Liebe meines Lebens in Graz gefunden!“
Eher zufällig hat sie ihren nunmehrigen Ehemann, Richard Haughton, der aus Irland stammt, in Graz kennengelernt. Er hatte ausgerechnet zwei Jahre vor Joylyn an der gleichen Schule als Kunstlehrer gearbeitet, dann aber gekündigt, um als Künstler und Musiker tätig zu sein.
„Er war der Sänger der einer Band namens The Shenanigans, einer irischen Folkband. (…) Sie rocken vermutlich immer noch ihre irischen Nummern in Graz. Sie waren damals ziemlich bekannt“, erzählt sie stolz. Mit Richard zusammen ging sie 1998 zuerst nach Irland und dann nach Kanada, wo die beiden heute zwei Töchter haben und als Lehrer und Künstler arbeiten.
Als Kanadierin mit chinesischen Wurzeln (deren Familie aber aus Jamaica stammt), war Joylyn in den späten 90er Jahren in Graz noch eher eine Ausnahme: „Es war manchmal ein bisschen unangenehm. Zum Beispiel wenn ich in ein Restaurant kam, drehten sich alle um und starrten mich an. Ich war wirklich wie eine Außerirdische.“
Auch wenn ihre Zeit in Graz mittlerweile über 15 Jahre zurückliegt, ist Joylyn mit Grazer Freunden in Kontakt geblieben, zum Beispiel mit ihrer Freundin Edda, die ihr zeigte, „was die Österreicher so machen und „wie man das Leben genießt“ – eine Einstellung, die Joylyn heute noch mit Menschen aus Österreich und Graz assoziiert.
Eine besondere Erinnerung an Graz ist für Joylyn ihre erste Schlossbergbesteigung. „Als ich immer höher und höher auf diesem kleinen Hügel kam, habe ich in die Ferne geschaut und etwas Rot-Weißes gesehen, das im Wind wehte. Ich dachte, das könnte eine kanadische Flagge sein, aber natürlich war es eine österreichische Flagge. Wenn man das erste Mal in ein fremdes Land kommt, versucht man verzweifelt Anknüpfungspunkte und Ähnlichkeiten zu entdecken. Das war damals ein Moment von Ignoranz und Naivität, aber wenn ich zurückdenke, ist es gleichzeitig eine schöne Erinnerung.“
Interview: Stephan Bergmann; Text: Alena Schmuck; Fotos: privat
Illustrationen von Joylyn Chai sind zB. in „The Big Art Book“ des Scarborough Arts Council zu sehen: http://issuu.com/