Grazoutside

Portrait: Paulus M. Dreibholz

Ich bin 1977 in Graz geboren und habe die meiste Zeit meiner Jugend dort verbracht. Nach meinem Schulabschluss inskribierte ich mich erst bei den Rechtswissenschaften. Am Institut für Künstlerische Gestaltung an der Architekturfakultät in Graz, wo ich Kurse belegte, entdeckte ich allerdings meine Faszination zu „schaffenden“ Aktivitäten, vor allem beim Akt-Zeichnen und der großflächigen Malerei. Oft war ich alleine im Studio nachdem meine Kollegen schon gegangen waren. Da wurde mir bewusst, dass ich mich mit mittelmäßigem Einsatz – und auch nur mittelmäßigem Erfolg – durch das Jura Studium „geschlängelt“ hatte, aber keine wirkliche Leidenschaft dafür entwickeln konnte. Die bildende Kunst hingegen hat diese schon eher entfacht. Eine kreativere Berufsrichtung schien mir daher erstrebenswerter.

Paulus M. Dreibholz © 2011 Chloé Decoene

Paulus M. Dreibholz © 2011 Chloé Decoene

Von Graz nach London

1998 habe ich am London College of Printing einen Grundkurs in künstlerischer Gestaltung besucht und bin eigentlich sehr blauäugig nach London gekommen. Grafische Gestaltung wird in England so unterrichtet, dass man sehr viel Freiraum bekommt. Dieser Freiraum führt dazu, dass man sich in Wahrheit selbst studiert. Man setzt seine eigenen Prioritäten, man interpretiert Projekte und Phänomene nach eigenen Gesichtspunkten, man findet seine persönlichen Interessen und kann diese auch professionell weiterentwickeln. Dieser Freiraum war für mich eine Herausforderung, aber ich konnte bei Kollegen auch beobachten, dass er bei fehlendem Interesse an der Sache oder einem Mangel an Selbstbewusstsein verwirrend oder sogar beängstigend sein kann.

Dazu kommt, dass London eine Stadt ist, von der man wissen muss, warum man sie als Lebensmittelpunkt wählt. Sie ist wirklich aufregend. Es wird viel geboten und man nimmt für dieses Angebot einige Einschnitte in Kauf. Es ist eine Stadt, die einen sehr fordert, denn sie verlangt genau so viel an Energie von den Bewohnern, wie sie ihnen gibt. Wenn man nicht mehr weiß, warum man hier ist, dann frisst sie hauptsächlich Kraft, anstatt dass sie diese gibt.

Paulus M. Dreibholz inmitten der Teilnehmer eines von ihm geleiteten Typografie-Workshops

Paulus M. Dreibholz inmitten der Teilnehmer eines von ihm geleiteten Typografie-Workshops

Im Anschluss an den Grundkurs habe ich im gleichen College das Bakkalaureat absolviert und danach einen Master-Kurs am Central Saint Martins. Während des Masterstudiums vertiefte ich meine Studien im Bereich der Sprache und schriftlichen Kommunikation. Direkt nach meinem Abschluss habe ich dann mein eigenes Studio gegründet, und über kleinere Umwege hat mich das Leben zu meiner derzeitigen Situation geführt.

Die Haupttätigkeit meines Ateliers liegt im Bereich grafischer Gestaltung. Wir sind ein kleines Team von bis zu vier Gestaltern und entwickeln Kommunikationsstrategien, Konzepte, redaktionelle Strukturen, visuelle Identitäten und eine Vielzahl von grafischen Produkten, Publikationen, Schriften, usw. Unser Spezialgebiet ist sicherlich die Typografie, welche im erweiterten Sinn eigentlich das Rückgrat der visuellen Kommunikation darstellt.

Graz und London als Schriften

Welche Schrift Graz oder London entsprechen könnte? Darauf eine Antwort zu finden, ist schwierig. Aber Charakteristika, welche die jeweilige Schrift haben müsste, kann ich schon nennen. Londons Schrift müsste sehr vielschichtig sein. Sie kann keine nette Schrift sein, sondern eher eine spannende. Die Grazer Schrift, auf der anderen Seite, wäre vielleicht ein wenig gemütlicher, freundlicher, aber durchaus mit sehr viel Flair. Soweit ich mich erinnere wurden vor einiger Zeit Straßenschilder mit der Schrift „Rotis“ produziert. Diese Wahl kann ich eigentlich nicht verstehen, da die Schrift zwar sehr elegant, aber fast schon hochnäsig wirkt. Das passt nicht wirklich zu Graz. Graz und die Steiermark haben einen eher starken, durchdringenden Charakter – natürlich mit Flair, aber mehr bodenständig als abgehoben. Also würde auch so eine Schrift zur Stadt passen.

Die von Paulus M. Dreibholz entworfene Schrift "Bethnal Green" ist nach einem Stadtteil von London benannt.

Die von Paulus M. Treibholz entworfene Schrift „Bethnal Green“ ist nach einem Stadtteil von London benannt.

Die eigene Identität

Zunächst würde ich mich als Europäer bezeichnen, dann bin ich Steirer und erst dann Österreicher. Ich empfinde durchaus eine starke Verbundenheit mit der Region meiner Herkunft, aber die Nationalität ist eher von geringerer Bedeutung. Österreich ist ein sehr schönes Land und Graz eine Stadt mit vielen Möglichkeiten. Kulturell passiert in Graz eigentlich auch etwas, obwohl man immer mehr machen könnte. „Institutionen“ wie das Forum Stadtpark, der Steirische Herbst, die Diagonale haben ja auch internationale Geschichte. Die Architektur, welche in den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern passiert ist, ist auch phänomenal. Diese Stadt hat also viel zu geben, und deshalb komme ich gerne nach Graz. In letzter Zeit ist sie wesentlich multikultureller geworden. Für mich ist das ein willkommener Aspekt, trotz aller tatsächlichen und auch nur eingebildeten Probleme, welche diese Entwicklung mit sich bringt.

Natürlich gibt es auch einiges, das mir negativ auffällt. Kleinbürgerlichkeit, die sich in den verschiedensten Kampagnen gegen positive Veränderungen äußert. Wie lange es gedauert hat ein Kunsthaus zu bauen darf mir hier als ein Beispiel dienen. In meinem unmittelbaren Umfeld sind in diesem Zusammenhang viele Kämpfe gefochten worden, hatten aber als Resultat oft nur viel verlorene Energie. Auch ist mir das typisch österreichische „Froh-Sein“ im Jammern – „Na gut, da kann man nichts machen.“ – wohl bekannt und zuwider. Ich sehe dies anders: Man kann schon was machen! Aber diese Einstellung muss Teil unserer Kultur werden. Das heißt, wir brauchen eine neue Einstellung gegenüber Veränderungen. Der Versuch den Status quo zu erhalten, in Sentimentalität zu baden, bringt mit sich ein Leben in der Vergangenheit – und das ist nicht gut so.

Text: aufgezeichnet von Wolfgang Haas, 2007; Update: 2014

Paulus M. Dreibholz wurde 1977 in Graz geboren und lebt und arbeitet in London als Grafikdesigner und Typograf.

Webseite von Paulus M. Dreibholz: http://dreibholz.com