Portrait: Dorit Chrysler
Wenn Dorit Chrysler aus dem Fenster schaut, sieht sie einen Hinterhof in Kopenhagen. „In diesem Jahr hatte ich so gut wie keinen All-Tag“, erzählt sie. In den letzten Monaten hat Dorit Chrysler Konzerte in Europa, Nord- und Südamerika gegeben. „Doch soweit ich mich erinnern kann, beginnt ein gewöhnlicher Tag in New York frühstückend und Zeitung lesend auf einer Bank in der Sonne im Thomkins Square Park. Gefolgt von Besorgungen, einigen Stunden Musik, dann ein Dinner mit Freunden, gefolgt von einem Konzert. “ Dorit Chrysler ist Sängerin, Musikerin, Komponistin – und sie beherrscht die Kunst des Theremin-Spiels. Beigebracht hat sich Dorit Chrysler das wunderbare, älteste aller elektronischen Instrumente selbst.
„Ein guter Freund von mir ist so ein Meister des Analogen, der Trautonium, Ondes Martenot und all diese ersten elektronischen Instrumente des 20. Jahrhunderts repariert und baut. Er ist so ein Bastler. Wir haben eine Single gemeinsam gemacht: „Schlager on Parade“, das ist meine Revanche am Schlagerbusiness. Und er hatte ein Theremin zuhause und hat mir das demonstriert. Es ist ein wahnsinnig faszinierendes Instrument. So ungewöhnlich und dramatisch mit einem so eigenartigen wunderschönen Klang. Es ist so schwer zu spielen, so verpönt und verlacht. Du musst wahnsinnig viel üben und kannst es trotzdem nicht beherrschen und dadurch hat es so etwas Berührendes. Es ist ein Windmühlenkampf, aber wenn du die Töne erwischt hast du so eine Freude.“
„Ich habe mich in dieses Instrument verliebt. Es war gerade das Ende meiner Rockband, ich habe alleine Musik auf den Computern gemacht. Die digitale Revolution – da habe ich zuhause auf meinen Computern an der nächsten Platte gearbeitet und mich da durch den Morast der Softwares gekämpft. Das Theremin war so etwas Organisches, Lebendiges und Liebreizendes. Ursprünglich habe ich gedacht, ich spiele nur ein bisschen damit herum in den Pausen, ein wenig meditativ. Es ist auch gut, wenn man mit geschlossenen Augen übt und nur versucht, einen Ton zu halten. Dann war ich überrascht, wie viele Möglichkeiten es bietet.“
An der Sibelius-Akademie in Helsinki hat Dorit Chrysler Studenten das bizarr-schöne Instrument nähergebracht. Schließlich sei es wie mit der Violine: Jeder muss seine eigene Technik entwickeln. Jeder hat eine eigene natürliche Position, wie man die Hand ruhig hält. Und man braucht viel, viel Geduld.
“Ich wollte immer, immer Musik machen und von der Musik leben. Aufgewachsen im gutbürgerlichen Graz war das nicht unbedingt ein ersehnlicher Berufsstand für die Eltern, und generell habe ich relativ schnell erkannt, dass der Berufsstand als Musiker in Österreich bis zu einem gewissen Grad auch sehr dubios ist. Klassische Musik und dann Teil eines Orchesters zu sein geht vielleicht noch, aber ansonsten schien es nicht gut, zeitgenössische Musik zu machen, was immer da an Genres – Rock, Pop oder auch Jazz – interessant war. Hier in Österreich zu sein und Englisch zu singen – das kam mir schon mal ziemlich blöd vor. Und ich dachte mir: Wenn schon, denn schon. Dann muss man das anständig erlernen oder zumindest anständig Englisch können. So hat es sich aufs Gradewohl ergeben, dass ich mit achtzehn nach der Matura ein Jahr nach New York ging. Ursprünglich als Au-Pair, aber schon mit dem Hintergedanken, Musik zu machen.“
„Nach dem einen Jahr New York bin ich nach Wien, habe Musikwissenschaften studiert, weil es mir als Frau wichtig war, dass ich das auf Papier habe, einen Titel habe. Aus rein emanzipatorischen Gründen fand ich es wichtig, Schwarz auf Weiß eine Erziehung nachweisen zu können. Sobald das erledigt war bin ich sofort wieder zurück nach New York gegangen. Das war wirklich eine Befreiung vom Gesellschaftsdruck hier in Österreich. Das ist keine Kritik an Österreich, sondern mein eigenes Problem, dass ich mich einfach hier nicht so frei gefühlt habe.
In New York war hinter mir die Sintflut, da war diese Distanz zu den Gesellschaftsregeln dort. Und das war einfach wahnsinnig inspirierend, gleichzeitig auch beängstigend und dann auch eine dringend notwendige Lehrschule an Erfahrungen in jeglichem Bereich, wie man mit Leuten umgeht, wie man durch die Welt geht und eine extreme Perspektivenöffnung an Toleranz, philosophisch in jedem Lebensbereich. Das hat New York mir in den frühen Jahren wirklich geboten. Wobei ich am Anfang sehr unvorbereitet war und wirklich naiv auch oft auf die Nase gefallen bin und durch die harte Schule auch sehr schnell die Lektionen gelernt hab. New York ist schnell, hart und faszinierend. Ich wohne im East Village und genieße die Gegend. Sich auf einen Lieblingsort in dieser Stadt zu beschränken ist schwer, jedoch ist der Spaziergang über die Williamsburg Brücke immer besonders schön.“
Chryslers beste Freunde sind überall auf der Welt zuhause. „Nach Graz kehre ich regelmäßig und immer gerne wieder zurück. Ich verbringe derzeit durch ständige Tourneen ungefähr gleich viel Zeit in Europa wie in den Staaten. Ich kam in die USA und hatte nur einen Touristenstatus. Ich hab gekellnert und diverse Aktivitäten, aber das ging damals irgendwie schon einigermaßen. Ich habe damals im East Village gewohnt – 1986 war mein erstes Jahr und dann 1989 – und da war eine unglaublich gesunde, kreative Künstlerstimmung dort. Man kam man auch mit sehr wenig Geld aus. Das war wirklich so ein Bilderbuch der Bohemian Welt. Man hat zusammen gewohnt und sich gegenseitig unterstützt. Das hat gut geklappt. Ich glaube, das wäre dieser Tage in New York schon viel schwerer – obwohl der Dollar jetzt ja wenig wert ist –, aber es sind dann so viele Reiche in die Stadt gezogen, die Mieten so gestiegen, dass das jetzt viel schwerer wäre, da einfach so Überleben zu spielen.
Und es war musikalisch auch so wichtig, denn ich wollte Musik machen. Ich habe auf Tausende Annoncen geantwortet, wo Sänger gesucht wurden. Auf Auditions zu gehen, die auf einem ganz anderen, super knallharten, professionellen Level waren, den ich noch nicht kannte, war unheimlich peinlich und erniedrigend, aber auch unheimlich lehrreich. Da hatte ich jeweils fünf Minuten, um meine musikalische Version von allen möglichen musikalischen Genres vor fremden Leuten zu präsentieren, die da kritisch saßen und zuhörten. Da wusste ich oft wirklich nicht, was tun. Auf die schnelle Art und Weise hat man gelernt, sich zu definieren und was man eigentlich tun will. Ich habe mit Amerikanern gemeinsam Musik gemacht, auch die richtigen dazu gefunden. Das ist ein ganz anderer Level. Es gibt keine staatlichen Förderungen und du bist so gut, wie viele Leute kommen und zahlen, um dich anzuhören. Und da musst du wirklich etwas liefern. Das war eine gesunde Schule.”
Weltweit gibt es nicht mehr als zehn, fünfzehn Theremisten, die vom Blatt Melodien spielen können. Man kennt sich untereinander, nicht zuletzt durch die von Dorit Chrysler gegründete “New York Theremin Society”. “Am Anfang schrieb die Village Voice: ‘Zehn Theremin-Spieler – wer will sich dieses Gekreische anhören?’”, erzählt Dorit Chrysler. Dann war jedes Konzert ausverkauft. Auf Einladung der L.A. Philharmonic hat sie zusammen mit neun Kollegen auch schon Leon Theremins reines zehnköpfiges Theremin Orchester gespielt. Wie 1932, wo die Komposition in der Carnegie Hall uraufgeführt wurde, kamen zehn Theremisten zusammen. Drei Tage wurde in der Disney Hall in Los Angeles geübt. “Wir hatten einen Dirigenten und haben hart gearbeitet, da sind einem die Ohren fast abgefallen. Teilweise hat es so schauerlich geklungen, dass wir dachten, es wird nie klappen”, sagt Chrysler. Kommen mehrere Theremine zusammen, kann es technische Probleme geben, wenn sie sich gegenseitig durch ihre Frequenzen übersteuern. Letztendlich kam der große Moment: Fünfzehn Minuten lang spielten die Kenner der “Ätherwellengeige” ganz leise und zart die Arrangements.
Auch in Europa hat die Musikerin und Komponistin einen Theremin-Verein gegründet. Sitz ist in Graz, Chryslers Geburtsstadt. Bislang gab es nur eine Generalversammlung. Die Theremin-Virtuosin ist viel unterwegs. Gibt es etwas in Graz, das sie vermisst? Ihre Familie und goldene Septembertage. Was braucht es für Zufriedenheit? “Den Liebsten und das Theremin.”
Text: Maria Motter 2007; Update: 2014
Dorit Chrysler wurde 1966 in Graz als Dorit Kreisler geboren und lebt seit 1989 als Sängerin, Musikerin, Komponistin in New York.
Nähere Informationen zu Dorit Chrysler, ihrer Musik und ihren Live-Konzerten: doritchrysler.com