Grazoutside

Datenjournalismus in einer globalisierten Welt

Mit dem renommierten Pulitzer-Preis, dem Oscar des Journalismus, wurde der Softwareentwickler Christo Buschek als erster Österreicher im Juni 2021 gemeinsam mit der Journalistin Megha Rajagopalan und der Architektin Alison Killing in der Kategorie „Internationale Berichterstattung“ für die Reportage „Built to Last“ ausgezeichnet. Darin berichten die drei von ihrer Aufdeckung von mehr als 280 Uiguren-Camps in der chinesischen Region Xinjiang. Christo Buschek entwickelte dafür die Software, um die diesbezüglichen Recherchedaten zu sammeln und auszuwerten. Seit fast 20 Jahren verfolgt der gebürtige Grazer das Ziel, mit den von ihm erstellten Softwareprogrammen Menschenrechtsorganisationen und Investigativjournalisten zu unterstützen, um Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen aufzudecken.

Der unabhängige IT-Experte Christo Buschek zeigt auf sehr eindrucksvolle Weise, dass datenbasierte Recherchen ein wichtiger Teil des Journalismus sind. © Christo Buschek

Der unabhängige IT-Experte Christo Buschek zeigt auf sehr eindrucksvolle Weise, dass datenbasierte Recherchen ein wichtiger Teil des Journalismus sind. © Christo Buschek

 

Welche Personen beeinflussten Sie in Ihrem beruflichen Werdegang?
Buschek: Als Jugendlicher hatte ich das große Glück und Privileg, mehrere Zeitzeug:innen der Naziverfolgung zu treffen und mit ihnen zu sprechen. Die Erlebnisse und Geschichten dieser Menschen haben mich immer zutiefst schockiert, aber auch beeindruckt.

Ich betrachte es als ein Ziel von mir, ebensolche Erfahrungen von Menschen zu bewahren und zugänglich zu machen.

 

Als Software-Programmierer beraten und helfen Sie Journalisten und Menschenrechtsorganisationen mit datenbezogenen Recherchen seit 20 Jahren, um Missstände und Machtmissbrauch aufzudecken. So konnten durch eine von Ihnen entwickelte Software Kriegsverbrechen in Syrien aufgedeckt werden. Wie kamen Sie auf die Idee, die Bereiche Softwareentwicklung und Menschenrechte zu verbinden?
Buschek: Es ist weniger so, dass ich auf diese Idee kam, und mehr, dass schon ein großer Bedarf von Seiten der Zivilgesellschaft bestand. Alle Bereiche der Gesellschaft werden zurzeit durch Software verändert. Dies gilt auch für den Menschenrechtsbereich.

Ich habe einen kleinen Prototyp gebaut, um Daten von verschiedensten Social Media Plattformen, versehen mit forensischen Qualitätsmerkmalen, zu archivieren. Zufälligerweise erhielt das Syrian Archive eine Kopie dieses Prototyps und konnte damit sofort die monatliche Verarbeitungsmenge von Kriegsdokumentationen in Syrien verlässlich um den Faktor 100-200 vergrößern. Wichtig war allerdings nicht nur die Datenmenge, sondern auch das systematische Archivieren dieser Dokumentationen, welches mein Prototyp erlaubte.

Dieser Bedarf an spezialisierten Werkzeugen kann überall im Menschenrechtsbereich gefunden werden. Wir müssen Werkzeuge bauen, die maßgeschneidert für solche Zwecke sind, da wir in solchen Werkzeugen nicht nur Funktionalitäten einbauen, sondern auch die Werte und Ziele ihrer Nutzer:innen “codieren”. Der Großteil der Software wird für profitorientierte Unternehmen geschrieben. Da stecken andere Wertesysteme dahinter.

 

Sie erhielten als erster Österreicher gemeinsam mit Ihrem Team – der Journalistin Megha Rajagopalan und der Architektin Alison Killing – für die Reportage „Built to Last“ den renommierten Pulitzer-Preis im Juni 2021. Bei dieser auf „BuzzFeed News“ veröffentlichten Reportage ging es um die Aufdeckung von mehr als 200 Uiguren-Camps, die von den chinesischen Behörden betrieben werden. Können Sie uns bitte einen kurzen Einblick in Ihre Arbeit geben, wie diese Internierungslager mit Hilfe Ihrer Software aufgespürt werden konnten?
Buschek: Als wir unser Projekt anfingen, hatten wir genug Anhaltspunkte um von der Existenz der Internierungslager auszugehen, konnten aber über die Details und das Ausmaß nur spekulieren. Unser Ziel war es, nicht nur Beweise für die Lager zu finden, sondern auch eine Aussage über die Dimensionen machen zu können.

Das Territorium der Provinz Xinjiang ist ungefähr 20mal so groß wie Österreich. Das machte es für uns unmöglich, das gesamte Territorium mittels Satellitenbilder zu untersuchen. Das wäre viel zu viel Arbeit gewesen. Gleichzeitig haben wir aber bemerkt, dass Baidu Maps, das chinesische Pendant zu Google Maps, Teile ihrer Online Karten zensurieren. Um das Problem für uns kleiner und überschaubarer zu machen haben wir gedacht, dass, wenn wir zuerst dort nachschauen, wo Baidu Maps zensuriert, es wahrscheinlicher ist, dass wir etwas von Interesse finden.

Das erste Programm, das ich entwickelt habe, hat das gesamte Territorium von Xinjiang auf Baidu Maps abgegrast um zu entdecken, wo genau die Zensur stattfindet. Das lieferte noch immer mehrere Millionen möglicher Geo-Locations in Xinjiang. Wir haben als nächsten Schritt unser Datenset weiter reduziert, indem wir uns nur auf Locations in oder in der Nähe von Städten oder Infrastrukturanbindungen wie Straßen konzentriert haben.

Das zweite Programm, das ich für dieses Projekt gebaut habe, war eine graphische Oberfläche, damit wir diese Daten anschauen und verifizieren konnten. Wir haben mittels dieses Verifizierungswerkzeuges die zensurierten Geolocations mit Satellitenbildern verglichen. Anhand der Satellitenbilder konnten wir sehr gut erkennen, wie diese Internierungslager ausschauen, aber auch vermessen, wie groß diese Lager sind. Damit konnten wir rund 280 bisher unbekannte Lager ausfindig machen, mit einer Fläche von fast 20 Millionen Quadratmetern. Das ist groß genug, um 1 Million Menschen festhalten zu können.

 

Wie fanden Megha Rajagopalan, Alison Killing und Sie für dieses Projekt zueinander?
Buschek: Ich hatte das große Vergnügen Alison bei einer Konferenz in Linz kennen zu lernen. Das muss so 2016 gewesen sein. Ich habe selber einen Workshop zu datengestützten Recherchen gehalten. Alison und Megha haben sich bei einem anderen Workshop 2017 kennen gelernt, wo sie anfingen, dieses Projekt zu entwickeln. Als es klar wurde, dass sie technische Unterstützung benötigten, haben sie mich an Bord geholt. Zu dem Zeitpunkt habe ich Megha noch nicht gekannt. Ich war allerdings sehr froh, die Gelegenheit zu bekommen mit Alison zu arbeiten, da ich Ihre Arbeit bisher sehr toll fand.

Mein Feld basiert stark auf Netzwerken von persönlichen Kontakten. Dies ist auf der einen Seite möglich, weil es ein relativ kleines Feld ist, aber auch notwendig, da die Arbeit oft sensible Details beinhaltet und Sicherheit und Vertrauen wichtig sind.

Es ist ungewöhnlich, dass eine Journalistin, eine Architektin und ein Programmierer für ein Projekt zusammenkommen. Es sind aber genau diese interdisziplinären Hintergründe, die uns für dieses Projekt einen Vorteil verschafft haben.

 

 

Hat die Verleihung des Pulitzer-Preises Ihr Leben verändert und wenn ja, wie?
Buschek: Mein Leben hat sich auf alle Fälle verändert. Mit dem Pulitzer-Preis sind viel Interesse und Unterstützung für meine Arbeit gekommen und er hat für mich persönlich eine Plattform geschaffen. Dies ist natürlich ein riesiges Privileg und schafft Möglichkeiten, die ich vorher nicht gehabt habe. Es ist aber auch eine Bestätigung, dass meine Arbeit einen Impact hat und wahrgenommen wird. Generell wird erkannt, dass datengestützte Recherche viel Potential hat, und die Verleihung des Pulitzer-Preises für solch ein Projekt ist natürlich ein Ausdruck davon.

 

Wovon handeln Ihre derzeitigen Projekte?
Buschek: Ich arbeite weiterhin daran, Werkzeuge für journalistische Recherchen zu bauen und meine Expertise im Bereich von Daten in verschiedensten Bereichen einzubringen, so bin ich z.B. Teil der von Kate Crawford gegründeten interdisziplinären Forschungsgruppe “Knowing Machines” an der University of Southern California und University of New York, welche Biases von Datensets untersucht, die den heutigen Künstlichen Intelligenzen zugrunde liegen. Ich gebe auch vermehrt Workshops für Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen über Methoden datengestützter Recherchen.

 

Wie würden Sie sich selbst mit drei Worten beschreiben?
Buschek: Solche Beschreibungen überlasse ich lieber Dritten.

 

Sie leben derzeit in Berlin und besuchen in regelmäßigen Abständen Ihre Heimatstadt Graz, um bei Ihren Verwandten zu sein. Was schätzen Sie besonders an der steirischen Landeshauptstadt und gibt es hier einen Lieblingsplatz, an dem Sie besonders gern verweilen?
Buschek: Für mich sind es Freunde und Bekannte, die mich gerne nach Graz bringen. Menschen sind für mich wichtiger als Orte. Natürlich spüre ich in Graz eine gewisse Vertrautheit, die ich woanders nicht habe.

 

 

Kurzbiographie:

Christo Buschek wurde 1980 in Graz geboren und absolvierte die Matura am Akademischen Gymnasium. Seit 20 Jahren ist er sehr erfolgreich als unabhängiger Softwareentwickler und Experte für Informationssicherheit tätig – sein Spezialgebiet sind datenbezogene Recherchen für Menschenrechtsorganisationen und Investigativjournalisten. Am 11. Juni 2021 wurde Buschek als erster Österreicher (gemeinsam mit Megha Rajagopalan und Alison Killing) für die Reportage „Built to Last“ mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Er lebt seit vielen Jahren in Berlin.

Andrea Harrich