Grazoutside

Von Graz nach Madrid

Seit vielen Jahren lebt Univ.-Prof. Dr. Georg Pichler, der aus Graz stammt, in Madrid. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen der Hauptstadt Spaniens und der steirischen Landeshauptstadt: So tragen beispielsweise Madrid und Graz den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“. Beide sind Mitglieder des Städtenetzwerks ECCAR (European Cities Against Racism). In Madrid gehören sowohl der Escorial als auch die Universtät und das historische Zentrum von Alcalá de Henares zum UNESCO Weltkulturerbe, in Graz sind es die Altstadt und das Schloss Eggenberg.

An der Universidad de Alcalá unterrichtet Univ.-Prof. Dr. Georg Pichler, der für ein Interview mit GrazOutside zur Verfügung stand, Deutsche Sprache und Literatur.

 

Eröffnung der Ausstellung "Camaradas. Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939", die Georg Pichler kuratierte und die von 06.10.2017 bis 09.05.2018 in der Fachbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien zu sehen war. © Marc Drews

Eröffnung der Ausstellung „Camaradas. Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939“, die Univ.-Prof. Dr. Georg Pichler kuratierte und die von 06.10.2017 bis 09.05.2018 in der Fachbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien zu sehen war. © Marc Drews

 

Welche Kindheits- und Jugenderinnerungen verbinden Sie mit Graz?
Georg Pichler: Eigentlich nicht sehr konkrete, denn Graz als Stadt war meist der Hintergrund, der wie selbstverständlich da war. Mit Kindheit und Jugend verbinde ich eher den Stadtrand in Waltendorf oder St. Peter, wo wir wohnten, als Kind zuerst die weiten, hohen Wiesen und die riesigen Bäume, die es damals dort gab, als Jugendlicher bin ich oft lange mit unserem Hund in den halbverwilderten Vorstadtwäldern spazieren gegangen. Heute ist das alles verbaut.

Als ich dann zu studieren begonnen habe, war das Kulturleben sehr beeindruckend, vor allem die Musik und die Literatur, wie etwa das Literatursymposion im Steirischen Herbst, zu dem Autoren und Autorinnen kamen, die heute fast schon mythisch sind. Die achtziger Jahre, als ich studiert habe, waren sehr interessant, kulturell und politisch, damals brach vieles auf und wurde anders.

 

Gibt es einen Lieblingsplatz in der steirischen Landeshauptstadt, an den Sie immer wieder gerne zurückkehren?
Pichler: Meine einstigen Lieblingsplätze am Stadtrand gibt es heute nicht mehr, dort stehen jetzt Einfamilienhäuser oder Wohnsiedlungen. In der Stadt gibt es ein paar Lokale, in die ich gerne gehe, auch wenn die mir einst liebsten Lokale geschlossen wurden. Das Traurige an der Abwesenheit ist, dass das Bekannte nach und nach verschwindet, und man zu dem, was nachkommt, natürlich keine so innige Beziehung hat. Dafür gibt es Neuentdeckungen: In den letzten Jahren habe ich die Doppelwendeltreppe in der Burg entdeckt, etwas Einzigartiges. Das ist der Vorteil, wenn man mit ausländischen Freunden in die Stadt kommt, man geht dann an Orte, an die die Einheimischen fast nie kommen. Sehr gerne bin ich auch am Schloßberg, der Ausblick von dort ist immer wieder sehenswert. Und es gibt auch schöne Radrouten in alle Richtungen.

 

Wie oft kommen Sie noch in Ihre Heimatstadt Graz?
Pichler: Unterschiedlich, anfangs nicht so oft, in den letzten Jahren aber häufiger, fünf oder sechsmal im Jahr. Manchmal aus beruflichen Gründen, denn ich hatte mit dem Kulturverein „prenninger gespräche“ eine Ausstellung und ein Symposion über die Österreicher in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg organisiert. Vor allem komme ich aber wegen meiner Eltern.

 

War es immer Ihr Traum, sich nach dem Studium der Germanistik und Hispanistik in Spanien niederzulassen oder ergab sich das zufällig?
Pichler: Das ist eine lange Geschichte. Weg wollte ich eigentlich schon immer, deswegen war ich auch während des Studiums ein Jahr in Lissabon. Als ich mit dem Studium fertig war, bewarb ich mich um eine Stelle als Lektor. In Madrid war eine frei, aber eigentlich wäre ich lieber nach Barcelona gegangen. Jetzt bin ich froh darüber, denn Barcelona, das bis in die frühen neunziger Jahre eine der interessantesten Städte der Welt war, ist heute dem Tourismus anheimgefallen und nicht wiederzuerkennen, vor allem das Zentrum. Madrid dagegen ist etwas natürlicher geblieben. Seit ich hier bin, habe ich nie wirklich daran gedacht wegzugehen.

 

In Santiago de Compostela mit dem Schriftsteller Ramón del Valle-Inclán. © Erich Hackl

In Santiago de Compostela mit dem Schriftsteller Ramón del Valle-Inclán. © Erich Hackl

 

Was schätzen Sie am meisten an Madrid und was an Graz?
Pichler: An Madrid, generell an Spanien, die harsche und etwas laute Freundlichkeit der Menschen, eine Selbstverständlichkeit und Wendigkeit im Umgang miteinander, die das Zusammenleben recht einfach macht. Das trifft natürlich nicht auf alle Menschen zu, ich finde Verallgemeinerungen immer sehr fragwürdig, aber in der Tendenz kommt es hin. Madrid ist zwar groß und sehr laut, doch besteht es aus vielen Stadtvierteln, die ihren eigenen Charakter bewahrt haben, so dass die Stadt abwechslungsreich ist und man sich im Viertel aufgehoben fühlt. Dank der jetzigen Bürgermeisterin wird auch viel getan, um die Lebensqualität zu verbessern.

An Graz mag ich einerseits die Ruhe, die es hier fast überall gibt, sieht man einmal vom Straßenlärm ab. Andererseits, dass es eine sehr grüne Stadt ist und man schnell irgendwo in der Natur sein kann. Und ich finde es bemerkenswert, dass es neben dem Altbekannten in der Stadt wichtige kulturelle Initiativen gibt, die auch in einem europäischen Rahmen einzigartig sind. Etwa die Zeitschrift Lichtungen, die in den letzten Jahrzehnten die europäische Literatur nach Graz geholt hat. Oder den Verein CLIO, der ungemein viel für die Aufarbeitung der Vergangenheit in der Steiermark und darüber hinaus macht. In beiden Fällen steht eine Person dahinter, die viel in Bewegung gesetzt hat, das finde ich schon sehr beachtenswert.

 

Am 23. Mai 2017 erhielt Peter Handke das Ehrendoktorat der Universidad de Alcalá. © Universidad de Alcalá

Am 23. Mai 2017 erhielt Peter Handke das Ehrendoktorat der Universidad de Alcalá. © Universidad de Alcalá

 

 

Univ.-Prof. Dr. Georg Pichler hielt bei der Verleihung die Laudatio. © Luisa Juárez

Univ.-Prof. Dr. Georg Pichler hielt bei der Verleihung die Laudatio. © Luisa Juárez

 

Gibt es in Madrid eine Community von Österreicherinnen /Österreichern und sind auch Grazerinnen/Grazer darunter?
Pichler: Es gibt einen sehr netten Österreicher-Verband Madrid, aber ich bin eher ein Verbandsmuffel. Es fällt mir überhaupt immer schwerer, mich als Österreicher zu definieren, und wenn ich in einem anderen Land bin und mich jemand fragt, woher ich komme, weiß ich nie so recht, was ich sagen soll. Für mich wäre eine EU-Staatsbürgerschaft ideal, das würde auch vielen meiner Bekannten, die lange im Ausland gelebt haben, entsprechen, dann könnte man etwa auch in dem Land wählen, in dem man lebt. Das wäre ein gutes Mittel gegen den Nationalismus. Und man müsste sich nicht so schämen, wenn Österreich in den spanischen, oder überhaupt ausländischen Medien immer in einem Atemzug mit den rechtspopulistisch regierten Staaten genannt wird.

 

Sie sind seit mehr als 25 Jahren als Deutschlehrer und Universitätsprofessor für Germanistik in Spanien tätig. Hat in dieser Zeit das Interesse an der Fremdsprache Deutsch in Spanien zugenommen und falls ja, worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?
Pichler: Das Interesse war vor allem in den ersten Jahren der Krise groß, da damals viele glaubten, sie könnten in Deutschland Arbeit finden. Ab 2011, 2012 stieg die Zahl der Deutschlernenden immens an, auf allen Ebenen. Als aber die ersten Nachrichten kamen, dass es doch nicht so rosig war, wie viele gedacht hatten, gingen die Zahlen wieder zurück. Heute haben sie sich auf einem etwas höheren Niveau als vor der Krise eingependelt, das ist auch in Ordnung so. Deutsch ist nach Englisch und Französisch die dritte Fremdsprache. Geändert hat sich vor allem das Verhalten der Studenten und Schüler: Früher hatten sie riesige Scheu zu sprechen, kaum jemand konnte Fremdsprachen. Heute ist alles etwas natürlicher, und viele, die zu studieren beginnen, können schon Deutsch.

 

Wie haben sich die Unterrichtsmethoden im Fremdsprachenunterricht weiterentwickelt?
Pichler: Die befinden sich in stetem Aufruhr, ob sie aber essentiell besser werden, wage ich zu bezweifeln. Lernende und Lehrende hinken meist den letzten Entwicklungen nach, und kaum hat sich eine neue Methode eingebürgert, kommt schon die nächste Theorie, die all das Vorherige für falsch erklärt. Dabei haben sich die Grundvoraussetzungen nicht sehr verändert, das Lernen geht immer noch mehr oder weniger gleich vor sich, keine technischen Neuerungen können die Mühsal des Vokabellernens und der langwierigen Wiederholungsphasen ersetzen. Am besten ist wohl die Methodenvielfalt, die es heute gibt, und die ungleich größeren Möglichkeiten, den Unterricht abwechslungsreich zu gestalten. Zugleich aber verliert durch die Selbstverständlichkeit, mit der man heute dank dem Internet Zugriff auf alle möglichen fremdsprachigen Quellen hat, also Radio, Fernsehen, Videos, Online-Zeitungen, „das Fremde“ seine Exotik. Früher hat man ganz gebannt etwa spanische Sendungen auf Mittelwelle gehört, in ziemlich schlechter Tonqualität, oder man ging selbstverständlich ins Kino, wenn es einen spanischen Film in Originalsprache gab. Heute ist dieser Zauber weitgehend gebrochen, und die meisten Studierenden würden nicht auf die Idee kommen, sich die deutschsprachige Welt in Eigenregie über das Internet zu erschließen. Die Möglichkeiten sind zwar unendlich viel größer, aber nur wenige nutzen sie tatsächlich, leider …

Sie sind Vorsitzender des spanischen Dachverbandes der Germanisten. Wie ist dieser Verband entstanden und was sind seine wichtigsten Ziele?
Pichler: Der Verband wurde als Dachverband der regionalen Germanisten- und Deutschlehrerverbände 1996 gegründet und will einerseits eine Art Interessensvertretung sein, andererseits der Ansprechpartner all der Institutionen, die mit der deutschsprachigen Kultur in Spanien zu tun haben. Ebenso leiten wir alle möglichen fachspezifischen Informationen weiter, bieten Fortbildungsveranstaltungen an, organisieren alle drei Jahre einen Kongress und vertreten Spanien in den internationalen Verbänden. In diesem Rahmen haben wir vor ein paar Jahren die Südeuropa Germanistik gegründet, mit Kolleginnen und Kollegen aus den südeuropäischen Ländern, seit zwei Jahren sind wir auch in Nordafrika vertreten. Es ist schon sehr spannend, über die Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten und auch Studierende zusammenzubringen, die aus ganz anderen Regionen kommen – man sieht dann, wie leicht dies geht und wie gut eine Sprache verbinden kann.

 

Die Meinung des Interviewten ist nicht immer identisch mit der Meinung der Autorin, wie denn auch die Meinung der Autorin nicht immer identisch mit der des Interviewten ist.

 

 

Kurzbiographie
Georg Pichler wurde 1961 in Graz geboren. Er absolvierte das Studium der Germanistik und Hispanistik an der Karl-Franzens-Universität Graz, das er mit der Promotion über den Spanischen Bürgerkrieg in der deutschsprachigen Literatur abschloss. Seit dem Jahr 1990 ist Georg Pichler als Lehrender in Spanien tätig, seit 2000 hat er die Professur für Deutsche Sprache und Literatur an der Universidad de Alcalá in Madrid inne. Es sind bereits zahlreiche Publikationen über deutschsprachige und spanische Literatur, v.a. des 20. Jahrhunderts von ihm erschienen. Seit Anfang 2014 ist Georg Pichler der Vorsitzende des spanischen Dachverbandes der Germanisten.

 

 

Andrea Harrich