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„Heimat ist so was wie der ‚Default‘ Ort an den ich immer wieder zurückkehren kann“

Ein Praktikum bei der renommierten Designagentur Sagmeister & Walsh führte Verena Michelitsch Ende 2011 von Graz nach New York. Wie es ist, sich beruflich in New York zu behaupten und, was New York von Graz lernen kann, hat uns Verena im Interview erzählt.

grazoutside.net: Hallo Verena, was hat dich nach New York gezogen?

Verena Michelitsch: Ich war schon immer sehr reisefreudig und wollte in einer größeren Stadt leben. Nachdem ich bei bei Stefan Sagmeister, eines meiner größten Vorbilder, einen Praktikumsplatz angeboten bekommen hab, hab ich nicht zweimal überlegt und sofort zugesagt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch meine eigene Firma und Wohnung in Graz und dachte nicht so richtig daran, wirklich länger zu bleiben und wollte erst in die Schweiz um ein Masterstudium für Type Design und Art Direction zu machen. Kaum war ich aber wieder in Graz, hab ich begonnen New York zu vermissen und bekam Job- und Freelance-Anfragen aus New York. Ein paar Monate später war ich wieder dort, diesmal mit Fulltime-Job und Visum für drei Jahre.

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 Verena Michelitsch, Grafikdesignerin und Illustratorin: „Ich bin in Leibnitz aufgewachsen, umgeben von Natur und Weinbergen, und habe später in Graz studiert und gearbeitet. Was mich an New York reizt, ist nicht unbedingt die Betonwüste oder die Skyscraper sondern die Energie von der man umgeben ist. Ich wollte mit den besten Designern arbeiten und mich neuen Herausforderungen stellen.“

grazoutside.net: Du hast – noch in Graz – zusammen mit Karin Lernbeiß den Kultur-Stadtführer „mein graz ist dein graz (mgdg) – my graz is your graz (mgyg)“ konzipiert und entworfen. Wie entstand die Idee dazu?

Verena Michelitsch: Mit Karin habe ich mich um einen Atelierplatz im Rondo in Graz beworben, was bedeutet hat, dass wir ein Jahr lang (fast) kostenfrei unser eigenes Studio hatten. Karin ist Fotografin und wir haben unser Atelier neben Freelance-Jobs als Spielwiese für eigene Projekte gesehen. Unsere Ateliernachbaren waren internationale Künstler, die uns immer wieder nach Tipps gefragt haben, was man in der Stadt so machen könne. Das hat uns auf die Idee gebracht, einen Stadtführer speziell für Künstler und Kreative zu machen. Die erste Version war ein “Survival Kit”, bestehend aus einer Box mit Stadtplan, Meldezettel, Ausstellungskalender vom Kunsthaus, Postkarten und einem roten Faden, um diesen nicht zu verlieren. Das Kernstück war ein kleiner Reiseführer mit einfachen Listen unserer Lieblingsplätze, Restaurants, Kunstbedarfshandel und grober Erklärung der Öffis. Natürlich alles sehr subjektiv. In der zweiten Auflage, die zweisprachig erschienen ist, haben wir kreative Freunde interviewt und sie um ihre Lieblingsplätze in Graz zu befragen.

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grazoutside.net: Und was sind deine liebsten Plätze in Graz, die du anderen ans Herz legen würdest?

Verena Michelitsch: Den Lendplatz-Markt am Samstag, Essen bei Marcello oder im Blendend, den Burggarten, Brötchen beim Frankowitsch, die Kombüse, Café Mitte am Freiheitsplatz (die Neuentdeckung bei meinem letzten Graz-Besuch), das Rosenhain Café (die Aussicht), Stadtpark, Forum Stadtpark und Parkhouse. Natürlich das Wiesler und Essen im Speisesaal (das Steak!).

Verenas Blick aus dem Fenster in Brooklyn, New York

Verenas Blick aus dem Fenster in Brooklyn, New York

grazoutside.net: Wie war es für dich von Graz nach New York zu gehen?

Verena Michelitsch: Ich habe in fünf verschiedenen Wohnungen in Manhattan und Brooklyn gewohnt, gute Lebensqualität hat hier einen hohen Preis. Mein Freund und ich hatten Glück, vor einem Jahr eine Traumwohnung von einem Freund übernehmen zu können. Mir ist bewusst geworden, wie viel das Viertel oder die Wohnung dazu beiträgt, dass ich mich wohlfühle. Im Moment fühle ich mich sehr wohl in unserem Viertel in Brooklyn.

grazoutside.net: Und wie ist es, dort zu arbeiten – im Vergleich zu Graz?

Verena Michelitsch: Motivierend und sehr inspirierend. Hier leben die besten der besten und das Level ist ein anderes. Mir gefällt, dass die meisten sehr motiviert sind, ihr Bestes zu geben. Natürlich ist es viel schwieriger sich zu behaupten, es ist der perfekte Ort um zu Lernen und Wachsen.

...und ihre alte Wohnung in Graz

…und ihre alte Wohnung in Graz

grazoutside.net: Gibt es etwas, das du an Graz vermisst?

Verena Michelitsch: Alle meine Freunde. Kornspitz mit Butter, Gauda und Backofenschinken vom Billa. Alle Arten von Weißwein-mit-Mineralwassser-Getränken. Dass man im Sommer überall draußen sitzen kann. Gut schmeckendes Leitungswasser und – ähm – dass man nicht immer so viel Trinkgeld hergeben muss.

grazoutside.net: Wenn man New York und Graz vergleicht, wovon sollten sich Graz und die GrazerInnen eine Scheibe abschneiden?

Verena Michelitsch: Generell wird wenig gejammert. Und wenn, werden Probleme sofort gelöst oder es wird zumindest daran gearbeitet. Mir gefällt, dass fast alle Menschen aufgeschlossen und offen sind – man kommt leicht mit anderen ins Gespräch. Die Menschen sind ein wenig freundlicher, auch wenn man meint, dass es nur Floskeln sind, wenn einen der Buschauffeur oder der Typ, der dir deinen Bagel schmiert fragt, wie es dir geht. Es ist nett, sich leicht unterhalten zu können.

Auszüge aus dem Portfolio von Verena Michelitsch

 

grazoutside.net: Und was glaubst du könnten New York und seine BewohnerInnen von Graz und den GrazerInnen lernen?

Verena Michelitsch: Die New Yorker könnten sich ein wenig mehr um die Stadt kümmern. Mir scheint, alles wird auf die Straße geschmissen. Und ihren Klimaanlagen-Extremismus ein wenig reduzieren – sobald die ersten Frühlingstage da sind, wird vom Bus, Deli, U-Bahn bis zum Büro und Wohnung alles auf Wintertemperatur heruntergekühlt.

grazoutside.net: Was bedeutet „Heimat“ für dich?

Verena Michelitsch: Heimat bedeutet einen Ort zu haben, an dem ich mich wohlfühle und ich ein soziales Umfeld habe. Das kann überall sein. Natürlich sind Graz und Leibnitz Heimat, so was wie der „Default“ Ort an den ich immer wieder zurückkehren kann, wenn ich es wo anders satt habe.

grazoutside.net: Was müsste passieren, damit du wieder nach Graz zurückkehrst?

Verena Michelitsch: Ich schließe nicht aus, dass ich nach Graz zurückkehre. Momentan stehen aber andere Orte auf meiner Liste. Ich fühl mich auch außerhalb von Graz noch immer wie ein Grazer.

64312_10151347485522169_958415699_nVerena Michelitsch ist in Leibnitz aufgewachsen, hat in Graz an der FH Joanneum studiert und dort die Designagentur En Garde mitbegründet. Durch ein Praktikum bei Sagmeister & Walsh kam sie 2011 von Graz nach New York, wo sie, nach einer kurzen Rückkehr nach Graz, bis heute als Grafikdesignerin und Illustratorin bei RoAndCo arbeitet.

Mehr über Verena Michelitsch und ihre Arbeit auf ihrer Website: http://www.verenamichelitsch.com

 

 

Fotos: Tobias van Schneider, privat