Ihr Graz ist vielleicht auch Dein Graz
Jelena Popić verbrachte zwar nur ein Monat in Graz, aber Ihre Erinnerungen füllen ein ganzes Buch: das Fotobuch „Mein Graz ist dein Graz“. Wir haben die kroatische Fotografin über ihre Zeit in Graz und die Bedeutung von Heimat befragt.
grazoutside.net: Jelena Popić, Sie sind durch ein Stipendium von Kulturvermittlung Steiermark nach Graz gekommen und haben dort 2011 einen Monat verbracht. Was waren Ihre ersten Eindrücke von der Stadt?
Jelena Popić: Ich bin an einem Montag Nachmittag in Graz angekommen und nachdem ich ausgepackt hatte, gleich durch die Stadt spaziert. Ich hatte angenommen, dass der Hauptplatz jener Ort wäre, an den man gehen sollte, wenn man „alle“ finden wollte (so wie das Riva in meiner Heimatstadt Split ist)… aber es war die falsche Vermutung, zur falschen Tageszeit. Es war sechs Uhr abends und die Menschen waren alle am Heimweg. Die Geschäfte sperrten schon zu und alles war wie leergefegt. In den folgenden Tagen habe ich begriffen, wie falsch dieser erste Eindruck war. Der Ort nach dem ich eigentlich hätte suchen sollen war der Stadtpark mit vielen jungen Menschen im Schatten der großen Bäume…
grazoutside.net: Was war Ihr Zugang für Ihr Fotobuch „Mein Graz ist dein Graz“ und woran denken Sie, wenn Sie heute an Graz denken?
Jelena Popić: Ich wollte eine typische Touristin sein, habe aber versucht einen anderen Zugang und Inspiration für meine Fotografie zu finden. Was mich besonders an meine Zeit in Graz erinnert, ist die Zeit der Marillen und Schwarzbeeren, viele Fahrräder und Autofahrer, die anhalten, damit man die Straße überqueren kann, auch wenn man das eigentlich gar nicht vorhatte. Und viele Menschen aus der ganzen Welt mit ihren verschiedenen Kulturen.
Die Zeit, die ich in Graz verbracht habe, ist für mich eine ganz besondere. Als ich hier her gekommen bin war ich bereits eine reifere Frau mit einer Familie, Kindern, Job, die gerade entdeckt hatte, das sie sich durch Fotografie ausdrücken kann. Ich hatte davor nie die Gelegenheit, einfach nur Fotos zu machen. Ich habe es immer „nebenbei“ gemacht. In Graz hatte ich Zeit für mich selbst und genoss jede Minute davon. Vielleicht hätte das einen geringeren Eindruck hinterlassen, wenn ich weniger Lebenserfahrung gehabt hätte.
grazoutside.net: Was heißt „Heimat“ für Sie?
Jelena Popić: Es gibt in meinem Heimatland drei Orte, die mich geprägt haben: die Stadt, in der ich geboren bin, Zagreb, wo ich während meiner Studienzeit gelebt habe und Split, wo ich seit 30 Jahren lebe. Der viertwichtigste Ort für mich ist Graz, obwohl ich dort nur einen Monat im Jahr 2011 verbracht habe. Das hat mein Leben sehr geprägt. Ich denke oft daran und bin sehr dankbar, von der Kulturvermittlung Steiermark diese Möglichkeit erhalten zu haben. Ich bin 2012 wieder gekommen, als ich mit Lea Titz im Rathaus eine Ausstellung hatte (2011 haben wir Graz in Split vorgestellt und dann umgekehrt). Ich war so glücklich wieder nach Graz kommen zu können – es war wie ein Nachhausekommen.
grazoutside.net: Wenn Sie Ihren Wohnort Split mit Graz vergleichen, was könnten die Menschen in Graz von Split lernen?
Jelena Popić: Das ist schwer zu sagen, weil die Menschen in Graz wirklich als sehr angenehm und freundlich in Erinnerung habe. Jetzt, wo Sie mich fragen… vielleicht könnten Sie lernen etwas offener und weniger kamerascheu zu sein 🙂
grazoutside.net: Und was könnten die Menschen in Split von Graz lernen?
Jelena Popić: Die Menschen in meiner Stadt könnten von Graz lernen, dass jede Zeitepoche ihren Teil zum Bild der Stadt beiträgt und, dass man sowohl mit historischen als auch mit modernen Gebäuden in Harmonie leben kann. Es gibt gute und schlechte Architektur und beide können jetzt oder auch in der Vergangenheit entstanden sein.
grazoutside.net: Gibt es etwas, das Sie an Graz vermissen?
Jelena Popić: Ein kroatischer Schriftsteller hat einmal gesagt, wenn man in Bezug auf einen Ort nostalgisch wird, dann vermisst man sich an diesem Ort in Wirklichkeit selbst – zu einem vergangenen Zeitpunkt…
Jelena Popić wurde 1960 in Umag, Kroatien geboren. Sie hat in Zagreb das Studium der Psychologie abgeschlossen. Heute lebt sie in Split mit ihrem Ehemann und drei Kindern und arbeitet in einer Schiffswerft. In die Welt der Fotografie wurde sie durch ihre erste Digitalkamera und den Cyberspace gezogen. Als Fotografin hat Popić an mehreren Ausstellungen teilgenommen und mehrere Preise gewonnen, darunter den 1. Platz bei den Photodays 2008, einem jährlich ausgetragenen kroatischen Fotografiefestival und das Stipendium von Kulturvermittlung Steiermark im Jahr 2011, im Zuge dessen das Fotobuch „Mein Graz ist dein Graz“ entstand. Mehr Bilder aus dem Graz-Fotobuch hier: http://www.pbase.com/ejla/mein_graz_ist_dein_graz__book